Wenn man eines sicher sagen kann, dann dass Thogrims Leben alles andere als langweilig ist. So fand er an seinem Angelplatz nahe der großen Schiffswerft eine goldene Ketten mit eingearbeiteten Edelstein. Das allein wäre nicht nennenswert, denn es fallen viele Dinge ins Wasser und vor nicht so langer Zeit ist er es auch ja ebenso gewesen. Die Kette wies deutliche Initialien auf, welche auf eine Person hindeutet deren Namen mit B.M. beginnen. Das Schmuckstuck wirkte noch recht neu und war nicht mal tief im Schlamm vergraben.
Der Halbork hat kein Interesse an Schmuckstücke, wollte die Kette aber auch nicht an den erstbesten Händler verkaufen. Stattdessen entschied er sich als Erstes die Stadtgarde anzusteuern und will dort erfragen, nachdem er die Situation erklärt hat, ob jemand aus der Stadt Schmuck vermisst. Natürlich wird das Schmuckstück auch vorgezeigt.
Thogrims ernsthafter Versuch, das Schmuckstück seinem vormaligen Besitzer oder der früheren Besitzerin zuzuführen, wurde mit leichter Überraschung zur Kenntnis genommen. Tatsächlich führte man in der Stadtgarde Buch über Gegenstände, die als verloren gemeldet wurden. Eine Halskette, wie sie Thogrim gefunden hatte, fand sich allerdings nicht unter den vermissten Dingen.
Die Gardistin, die sich unter anderem um die Fundsachen kümmerte, spekulierte allerdings selbst ein wenig, nachdem sie das gute Stück in Augenschein genommen hatte. Gold war überaus resistent und Edelsteine entsprechender Qualität auch. Womöglich mochte das Salzwasser ihm deswegen nicht viel angehabt haben. Denkbar auch, dass es tiefer im Schlamm verborgen war und erst durch den neuerlichen Sturm erst freigelegt worden war. Grundsätzlich war es wohl schwer zu bestimmen, wie lange die Kette auf dem Grund des Meeres verbracht hatte. Zu den Initialen „B.M.“ fiel ihr indes niemand ein. Jedenfalls niemand, der infrage kam.
Thogrim blieben nach Besprechung mit der Gardistin unterschiedliche Wege offen. Er konnte das Schmuckstück hier und jetzt abgeben und seinen Namen hinterlassen. Sollte sich binnen eines Monats jemand melden und als Eigentümer offenbaren, sprang womöglich ein Finderlohn für Thogrim raus. Wenn sich nach einem Monat niemand gemeldet hatte, würde das Fundstück dann rechtmäßig an Thogrim übergehen und er könnte es sich wieder abholen. Wenn ihm dabei doch noch der Besitzer zuvorkam, hätte er Pech, konnte aber freilich weiter auf einen Finderlohn hoffen.
Thogrim konnte sich als aktueller Besitzer des Schmuckstücks vermerken lassen, eine Anschrift angeben und den Gegenstand behalten. Damit war er dann aber auch dafür verantwortlich und haftbar, falls die Halskette wegkam, verpfändet oder verkauft wurde und der eigentliche Eigentümer hätte, wenn er sich denn einfand, entsprechende Ansprüche. Selbstverständlich entbot sich Thogrim auch so die Chance auf einen Finderlohn und für den Fall, dass sich binnen eines Monats niemand finden sollte, würde er sich den erneuten Weg zu Stadtgarde sparen und wäre dann dauerhafter Eigentümer des Schmucks.
Abseits davon fragte ihn die Gardistin, ob er bereits in der Hafenmeisterei nachgefragt hatte, denn auch dort wurden immer mal vermisste Gegenstände gemeldet. Zwar stand man miteinander in Austausch und glich die Listen regelmäßig ab, aber das passierte nicht ständig, so dass vielleicht die Chance bestand, dass dort eine Meldung ergangen war. Thogrim konnte schon bewusst sein, dass man wegen des einen Schmuckstücks jetzt kein großes Aufhebens veranstalten würde. Was im Zweifelsfall aber hieß, dass man eine Person, die die Halskette im Hafen als vermisst meldete, eben hierher zur Garde schicken würde – wenn man das nicht vergaß.
So entboten sich Thogrim mehrere Möglichkeiten, wie er nun verfahren konnte. Welche davon würde er in Anspruch nehmen?
Thogrim verneinte die Frage ob er schon bei der Hafenmeisterei war, wird dies aber nachholen. Also entschied er sich die Kette zu behalten und hinterließ zudem den Hinweis, dass man eine Nachricht in der Fuhrmeisterei schicken sollte, für den unwahrscheinlichen Fall dass der ursprüngliche Besitzer sich melden sollte.
Aber trotz der neuen Erkenntnisse blieben ihm nun dennoch zwei Wege offen, neben der Hafenmeisterei käme noch das Magische Allerlei als Ort für mögliche Informationen in Frage. Denn der Halbork bekam von Lyn während eines Gesprächs den Hinweis dass man dort nachfragen könnte. Sofern die Kette dort hergestellt wurde, vor allem mit einer Gravur, ist dies wohl im Verkaufsbuch vermerkt.
So führte der nächste Weg zum magischen Allerlei.
Thogrims Gedanke war schlau. Im Magischen Allerlei angekommen, würde er direkt an die Zwergin Faralla verwiesen. Die ehemalige Inhaberin der Räumlichkeiten hatte einen guten Blick und ein gutes Gedächtnis - was die Schmuckstücke betraf.
Und so konnte sie sich tatsächlich erinnern, das Schmuckstück gefertigt zu haben. Sie nahm eine Lupe und deutete Thogrim an, sich die Fassung des Edelsteins einmal ganz genau zu besehen. Und tatsächlich: An einer sehr unauffälligen Stelle fand sich eine Prägung, die sehr viel kleiner war als die "Für B.M."-Gravur. So einen Stempel nannte man "Punze", wie die Juwelierin erläuterte. Selbst mit Lupe musste Thogrim die Augen zusammenkneifen, um die filigranen Symbole zu erkennen, die im Stempel miteinander verbunden waren. Eines gab Auskunft über die Legierung. In diesem Falle handelte es sich um reines Gold. Das andere Symbol war das individuelle Zeichen der Schmiedin. Im Grunde hatte jeder Schmied, egal ob Fein-, Rüstungs- oder Waffenschmied, der etwas auf sich hielt, so ein Symbol. Im Falle Farallas handelte es sich um drei auf der Spitze stehende Dreiecke, oben zwei unten eines, so dass sich der Gesamteindruck eines größeren Dreiecks ergab. In jedem der ohnehin schon winzigen Dreiecke fand sich ein individuelles Muster, das zu kopieren nahezu unmöglich war.
Sie musste gar nicht in ihre Aufzeichnungen gucken, um zu sagen, wann sie das Stück gefertigt hatte. Es war vor etwa viereinhalb bis fünf Jahren gewesen. Sie konnte sich einerseits so gut erinnern, weil es das wertvollste Schmuckstück war, dass sie nach dem Überfall auf das Juweliergeschäft damals geschmiedet hatte. Und andererseits weil es der erste größere Stein war, den sie nach dem (vermeintlich) ersten Auftreten des Meteoriten-Ereignisses zu Gesicht bekommen hatte. Sie hatte den Stein nicht vom Auftraggeber erhalten, sondern ihn vorher angekauft. So viel wusste sie noch, vor allem weil diese Edelsteine damals sehr kostspielig waren und sie ordentlich Gold berappt hatte. Damals war noch unklar gewesen, wie viele Edelsteine insgesamt in der Region herniedergegangen waren und man hatte nicht wissen können, dass das Phänomen in den folgenden Jahren wiederkehren würde. Auch die besonderen Eigenschaften der Steine, die scheinbar irgendwie an die Region gebunden waren, kannte man damals noch nicht. Als sich das alles nach und nach rausstellte, verloren die Steine zusehends an Wert, auch wenn sie natürlich immer noch hervorragend zu verarbeiten waren und materiellen Wert besaßen.
Jene Halskette hatte sie im Auftrag eines Mannes gefertigt. Soweit war sich Faralla sicher. Ebenfalls entsann sie sich, dass sie wohl nicht mit dem eigentlichen Auftraggeber Kontakt hatte, sondern mutmaßlich einem Handlanger. Die Gravur indes hatte sie nicht hinzugefügt. Das muss später von anderer Hand geschehen sein, was durchaus verwundern mochte, denn die Zwergin war am Ort eigentlich die einzige nennenswerte Person, die man Hand an so feines Schmuckwerk legen ließ. Namen und dergleichen wurden nicht zwangsläufig in den Auftragsbüchern festgehalten, sondern nur wenn keine Anzahlung hinterlegt wurde. Das war auch damals der Fall gewesen. Erfahrungsgemäß war daran auch nichts zu beanstanden. Nicht alle Kunden wollten ihren Namen und den Wert des Schmucks, den sie besaßen, in einem Buch stehen haben, das schlimmstenfalls durch Gauner gesichtet oder sogar entwendet werden konnte. Insbesondere nach dem damaligen Überfall waren die Leute dahingehend vorsichtiger geworden und schienen bereitwilliger, auch für vergleichsweise günstige Aufträge Anzahlungen zu leisten.
Insgesamt war das Magische Allerlei ein unbekanntes Terrain für den Halbork, so betrachtete er die Auslagen mit fast schon kindlicher Neugier und besonders nützliche Dinge wie verzauberte Zelte und Schlafrollen erweckten Interesse und Begeisterung im gleichen Maße. Aber das war zumindest im Moment nur Nebensache, denn er hatte sich ein Ziel in den Kopf gesetzt und jedes mal wenn das der Fall ist, verfolgt er dieses so gut er kann.
Der Fährtenleser lauschte aufmerksam den Ausführungen der Zwergin und bedankte sich für die Auskunft sowie die Erklärungen, tatsächlich hat er etwas Neues gelernt. Wie bei der Garde, hinterließ er den Hinweis im Magischen Allerei dass man sich bei der Fuhrmeisterei melden soll, für den Fall dass sich irgendein suchender angeblicher Besitzer melden sollte.
Damit steuerte er den nächsten Ort an, wo im Grunde alles begonnen hat: den Hafen, direkt zur Hafenmeisterei.
So setzte Thogrim seinen Stadtrundgang fort und gelangte schließlich zur Hafenmeisterei. Sicher, man nahm auch hier Fundsachen entgegen oder nahm Gesuche an. Auch sonst verfuhr man wie die Stadtgarde auch.
Die Konturistin der Hafenmeisterei machte große Augen, als sie das Schmuckstück sah. So etwas kam wohl nicht alle Tage weg. Zwar konnte die Schreiberin Thogrim nicht mit Erkenntnissen weiterhelfen, aber da man sich gewiss darüber austauschen würde, wo die Halskette gefunden wurde, begann sie – vielleicht etwas romantisch verklärt – selbst zu spekulieren. Vielleicht hätte verlorene Liebe dazu geführt, dass jemand, eben jener oder jene „B.M.“ das Kleinod in einem Akt der Enttäuschung, Verzweiflung oder der Trauer weggeworfen hatte?
Es blieb wohl anzuzweifeln, dass diese „Information“ sonderlich nutzbringend war, aber es war wohl vorerst alles, was Thogrim hier und heute erfahren würde.
Tatsächlich konnte der Halbork nicht sonderlich viel mit romantischer Schwärmerei und Spekulationen anfangen, auch wenn er sie sich für eine Weile anhört in seiner stoischen Gelassenheit. Wie auch bei den anderen Anlaufstellen bedankte er sich für die Zeit und hinterließ den Hinweis, dass man sich bei der Fuhrmeisterei melden solle, wenn sich ein möglicher Besitzer blicken lässt.
Auch wenn er sich nun in einer informativen Sackgasse befindet, ist er keineswegs gewillt sein Vorhaben aufzugeben, doch würde es auch nichts bringen sich durch die Stadtbevölkerung zu fragen. Sicherlich wird es auch einiges an Gemunkel geben, schon alleine wegen der Tatsache dass er den Besitzer der Kette sucht. Mit einer guten Portion Glück, seitens der Glücksmaid für die der Fährtenleser regelmäßig eine Münze lässt, sollte das Gemunkel die richtigen Ohren erreichen. Durch die Hinweise sich bei der Fuhrmeisterei zu melden, hatte er zudem auch symbolische Brotkromen hinterlassen.
Nun tut er das was jeder gute Jäger tut. Er übt sich in Geduld, geht seinem normalen Tagewerk nach und wartet ab bis jemand diesen Brotkrumen folgt.
Die Falle hatte schlussendlich zugeschnappt.
Doch diesmal war es keine gefräßige Bestie, sondern eine gesprächige Dirne namens Bella der man zufällig begegnete. Es sollte ein nervenaufreibender Abend folgen, wo Gewinn und Verlust nur selten in Thogrims Leben so nah nebeneinander standen.
Endlich hat Thogrim den Namen der Besitzerin: Euphemia, eine ehemalige Hafendirne von Lisfar und zeitweilig eine Gespielin eines ehemaligen Ratsherren namens Barger. B.M. stand also für "Bargers Mädchen" und die Kette war ein Geschenk und Zeichen der Zuneigung vom Ratsherren, eine Zuneigung die jedoch schnell wieder verflogen ist. Um die schmerzlichen Erinnerungen zu vergessen, warf die Frau das Schmuckstück wohl ins Wasser und verschwand aus der Stadt.
Das Rätsel um die Kette wurde somit gelüftet.
Doch hatte die Erkenntnis einen Preis: den Verlust des Schmuckstückes, denn es war wohl besonders unter den Hafendirnen ein begehrtes Stück und soll wohl ein neues Leben versprechen.
So ließ der Halbork, welcher sonst immer sehr umsichtig und gar misstrauisch ist, von Bellas umgängliche Art einwickeln und zum Getränk einladen. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte. Nachdem er einige Stunden schlummerte und sich zu allem Überfluss noch einigen aufdringlichen Schlägern erwehren musste, fand der Fährtenleser den Weg zum Sharinschrein. Dort, so sagte man ihm, treffen sich die Dirnen oft und unterhalten sich über allerlei Dinge. Wenn man seine Beute nicht verfolgen kann, sucht man sich eben die Orte von denen man weiß dass sie sich dort gerne aufhält. Tatsächlich traf er eine Schreindienerin, erklärt er die Lage und spendete letztendlich auch einige Münzen sowie einen frisch gefangenen Fisch an die Schreinkatze. Auch wenn Sharin nicht bekannt für Vernunft sein mag, hoffte der Halbork dass sie Bella oder Beatrice wie so wohl eigentlich heißt, Einsicht gewähren wird die Kette zurückzugeben. Besonders nach der offenbarte Geschichte, könnte die Kette womöglich auch ein Tribut an Umberlee gewesen sein. Schon öfters konnte Thogrim Matrosen und andere Hafenbewohner dabei beobachten, wie sie der Meereshexe Gold oder ähnliches opferten. Auch weiß er dass sie nichts freiwillig zurückgibt, was mal im Wasser lag.
Das neue Leben von Beatrice könnte daher schneller wieder zu Ende sein als ihr lieb sein mag, als Ehrenmann will der Halbork sie jedoch davor bewahren trotz ihres Vergehen.