Der Brief, den Fredo Milton schließlich, wo auch immer er sich nun aufhalten möge, erhält, wird in Begleitung eines kleinen Päckchens von einem Boten ausgeliefert. Das Päckchen ist mit kunterbuntem Papier umwickelt, das wiederum von einer darum geschlungenen, violetten Schleife fixiert wird. Darin befindet sich ein neues, hochwertiges Notizbuch, ähnlich wie das von Agatha. Allerdings ist der Einband nicht in pinker Farbe, sondern in einem etwas ernster wirkenden Blauton gehalten. Diese Ernsthaftigkeit wird allerdings wieder durchbrochen durch silber- und goldfarbenes Pulver, das mit einem vermutlich aus Agathas Alchemiestube stammenden Klebstoff fixiert wurde und verschiedene, vermutlich nett gemeinte Muster darstellen soll. Da ist einmal eine ältere Version des Symbols des Elfengottes Corellon Larethian, das einen Sichelmond darstellt, ein stilisiertes Symbol von Tymora, das wie eine lachende Dame auf einer Münze aussieht, ein paar elfische Runen, die für Schutz und Glück stehen, was vermutlich einen Zusammenhang zu der Bedeutung, die Agatha den beiden Gottheiten zuspricht, herstellt. Außerdem ist da aber natürlich auch noch das Symbol von Helm, jener Panzerhandschuh mit einem Auge. Auf der Vorderseite bildet das silber- und goldfarbene Pulver in verschnörkelter Schrift die Worte 'Fredos Schreibbuch' dar. Es hat ebenfalls einige Lesezeichen, mit denen man schnell zu vorgemerkten Berichten blättern kann, diese Lesezeichen sind auch in unterschiedlichen Farben gehalten, allerdings etwas geordneter mit schlichteren Farben wie Blau, Grau, Schwarz, Braun, Rot und Weiß und nicht so extrem 'knallig' kunterbunt wie die von Agathas Buch. Im Innern auf der Innenseite des Rückeneinbandes sind eine für das Schreiben geeignete, blau gefärbte Rabenfeder sowie ein Bleistift befestigt, letzterer vermutlich für den Fall, das mal keine Tinte zur Hand ist. Der Brief ist wiederum von einem recht kitschigen Schriftbild geprägt, das schon fast an der Grenze der Fremdscham tanzt, je nachdem, wie das eigene Gemüt oder der eigene Geschmack es einordnet. Es befinden sich darin Herzchen und gemalte lachende Gesichter und kleine gemalte Explosionen und Sterne und es wirkt alles in allem nicht wirklich wie man es einer ernsten Magierin zuordnen würde.
Lieber Herr Milton,
ganz viel Dank mit extra Zuckerguss für das liebe Geschenk von Euch, über das ich mich sehr gefreut habe!
Lasst mich aber bitte auch sagen, dass dergleichen nicht nötig gewesen wäre und ihr in keiner Weise in meiner Schuld steht, wirklich nicht. Wir alle waren Gefährten, die gemeinsam auf einer Mission unterwegs waren. Und Gefährten müssen aufeinander aufpassen. Daher habe ich den Zauber auf euch gewirkt, damit die Wahrscheinlichkeit weiterer Verletzungen verringert wird. Ihr wart aber weder eine Belastung, noch mangelte es Euch an Umsicht oder an Fähigkeit. Ich finde, Ihr wart den Umständen entsprechend sogar ganz schön mutig und wachsam. Immerhin war es eine gefährliche Angelegenheit, wir sind auf blutrünstige Wesen betroffen und mussten damit rechnen, dass uns sogar Werwölfe angreifen, bei denen ein Biss oder Kratzer schon einen schlimmen Fluch mit sich bringen könnte. Ich habe in ähnlichen Situationen schon erfahrenere Soldaten erlebt, die sich in die Hose machten (und das ist keine Metapher). Ihr aber habt Euch zusammengerissen, Eure Dienstplicht tapfer erledigt, seit mit uns mitgekommen, habt trotz der Bedrohung alles aufmerksam beobachtet und akkurat notiert, damit die anderen Wachen und Obrigkeit über die Ereignisse im Bilde sind. Einen solchen Mut und Diensteifer zu haben, obwohl anders als bei den meisten von uns, keine Schutzmagie die schlimmsten Gefahren abhält, ist bewundernswert. Es war mir daher eine Ehre und ein Bedürfnis, Euch mit meiner Magie zumindest ein wenig zu schützen und kein Opfer und erst Recht kein Diebstahl.
Bleibt weiter so tapfer und beschützt die Bürger vor allem Unheil. Ihr werdet es in der Wache gewiss noch weit bringen.
In Freundschaft
Agatha
P.S.: Meine Mentorin Lyn gab mir den Hinweis, dass ihr mein Notizbuch mochtet, daher hoffe ich, Ihr freut Euch über mein kleines Gegenpräsent.
"Ich will dir die Wahrheit sagen. Ihr Menschen habt gar keine Angst vor dem Teufel. Ihr hofft und wollt, dass es ihn gibt. Denn gäbe es ihn nicht, dann... wäret ihr ganz alleine selbst für all das hier verantwortlich? Kriege, Morde, Vergewaltigungen. Das wäret dann alles ihr selbst, nicht wahr? Ihr wollt einen Bösewicht, weil dann alles ganz einfach ist. Töte den Bösewicht, vernichte das Böse. Wäre es nicht schön, wenn es einen Meisterplan gäbe? Wenn alles Schlechte auf der Welt irgendeinem Algorithmus folgt, wenn es Teil eines Puzzles wäre, das man lösen könnte? Doch was, wenn das gar nicht der Fall ist? Was, wenn viele Menschen nur das tun, was für sie gerade besser ist, ohne auf die Konsequenzen zu achten? Was, wenn viele Menschen die unter dem Egoismus anderer leiden, irgendwann irgendein Ventil suchen, Fanatismus, Rassismus, Amoklauf? Was, wenn viele Menschen überzeugt sind, das Richtige zu tun und alle, die etwas anderes tun, als Diener des Bösen brandmarken? Dann hätten wir einen kollektiven Wahnsinn, ein Karussell der Gewalt, das sich unaufhörlich dreht und völlig willkürlich alles zerfetzt, nicht wahr? Ihr braucht keinen Teufel. Ihr seid euer eigener."
Auch dieser Brief von Milton wurde rasch beantwortet. Dieses Mal handelte es sich jedoch um keine standardisierte Antwort von Sarahs Schreiber, sondern um einen Brief von der Rätin höchst selbst.
„Werter Rekrut Milton,
seit bedankt für euer umsichtiges Verhalten während des Vorfalls an den Höfen und eures bisher gezeigten Einsatzes während der Ermittlungen. Ohne euer beherztes Eingreifen und die zielgerichtete Koordination der Gardisten an jenem Vormittag, hätte das Attentat auf meine Person gewiss einen völlig anderen Ausgang genommen.
Aus diesem Grund gedenke ich in den kommenden Tagen selbst mit dem Kommandanten zu sprechen und ihm meine Sicht der Dinge darzulegen. Seit gewiss, dass weder euch noch die Hauptleute irgendeine Schuld trifft.
Ich wünsche euch und eurer Familie ein besinnliches Kerzenfest.
Gez.
Stadträtin S. Morgentau“
Hauptcharakter: Sarah Morgentau - Kind der Meere
Spielleiterzuständigkeit: Marktviertel & Oberstadt
Und so kam dann auch wieder ein erneuter Brief von Agatha an, der über einen Boten überbracht wurde. Auch hier finden sich wieder allerlei liebliche Zeichnungen wieder, die eher von Fantasiefreude und Kreativität und weniger von tatsächlicher Kunstfertigkeit zeugen, es mag ein wenig so wirken, als male Agatha einfach immer irgendwelche ihre Emotionen ausdrückende Bildchen als Ablenkung während sie sich die Worte überlegt, die sie formulieren möchte. Hier und da sind wieder kleine Sternchen oder ein nachdenkliches Gesicht mit einem Fragezeichen zu sehen, dann etwas, das wie ein Kaninchen aussieht und etwas, das nach einem Halbmond mit Stubsnase und ernster Miene anmutet.
Lieber Fredo,
vielen Dank für Euren neuen Brief!
Es ist selten verkehrt, die eigenen Entscheidungen und Handlungen einer Situation im Nachgang zu reflektieren, auch das spricht für Euch. Förderlich ist es jedoch nur, wenn man solche Bewertungen mit der Zielsetzung vornimmt, für künftige Dinge zu lernen. Denn an vergangenen Ereignissen können wir nun einmal nicht mehr verändern, so sehr wir uns auch über sie grämen mögen. Die Überlegungen, 'was wäre wenn' und 'hätte ich doch' sind am Ende nur lähmend, wenn wir sie dazu verwenden, uns selbst für Dinge zu quälen, auf die wir jetzt keinen Einfluss mehr nehmen können.
Ich bin sicher, dass sowohl Ihr als auch jeder andere und ebenso ich mit den zu jenen Zeitpunkten vorhandenen Informationen und Fähigkeiten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hatte, zumindest aus meiner Warte konnte ich nirgendwo Fahrlässigkeit feststellen.
Und bisher ist ja auch zudem nichts verloren. Lasst uns also einfach weiter sehen, dass wir die Situation zum Guten wenden, die vermissten Personen ausfindig machen und die offenen Fragen aufklären können. Hierbei werde ich, so gut ich es vermag, natürlich weiter zu unterstützen versuchen, obgleich ich gestehen muss, dass meine eigenen Fähigkeiten in solchen Situationen eher bescheiden sind. Doch wo es an meinen Begabungen mangelt, werdet Ihr oder die anderen ausgleichen können.
Sehr gerne werde ich nach Abschluss dieses Falles mit Euch in Kontakt bleiben und Euch bei der einen oder anderen Gelegenheit bei einem Treffen für Fragen zur Verfügung stehen, es gibt zugegebenermaßen nur wenige Dinge, für die ich so schwärme, wie über meine Leidenschaft zu reden und meine Leidenschaft ist nun einmal die Forschung, die Wissenschaft und die Magie, daher wird es sich wohl eher umgekehrt verhalten und Ihr werdet das eine oder andere Mal meinen Redefluss unterbrechen müssen, wenn ich Eure Fragen zu ausschweifend beantworte.
Eure Freundin
Agatha
"Ich will dir die Wahrheit sagen. Ihr Menschen habt gar keine Angst vor dem Teufel. Ihr hofft und wollt, dass es ihn gibt. Denn gäbe es ihn nicht, dann... wäret ihr ganz alleine selbst für all das hier verantwortlich? Kriege, Morde, Vergewaltigungen. Das wäret dann alles ihr selbst, nicht wahr? Ihr wollt einen Bösewicht, weil dann alles ganz einfach ist. Töte den Bösewicht, vernichte das Böse. Wäre es nicht schön, wenn es einen Meisterplan gäbe? Wenn alles Schlechte auf der Welt irgendeinem Algorithmus folgt, wenn es Teil eines Puzzles wäre, das man lösen könnte? Doch was, wenn das gar nicht der Fall ist? Was, wenn viele Menschen nur das tun, was für sie gerade besser ist, ohne auf die Konsequenzen zu achten? Was, wenn viele Menschen die unter dem Egoismus anderer leiden, irgendwann irgendein Ventil suchen, Fanatismus, Rassismus, Amoklauf? Was, wenn viele Menschen überzeugt sind, das Richtige zu tun und alle, die etwas anderes tun, als Diener des Bösen brandmarken? Dann hätten wir einen kollektiven Wahnsinn, ein Karussell der Gewalt, das sich unaufhörlich dreht und völlig willkürlich alles zerfetzt, nicht wahr? Ihr braucht keinen Teufel. Ihr seid euer eigener."
Fredo Milton wohnte in einem wahrlich winzigen Zimmer unter dem Dach der sehr bescheidenen Wohnung seiner Eltern. Dort erreichten ihn die meisten nicht-dienstlichen Briefe, was neuerdings für einige Gespräche im Hause Milton sorgte, denen Fredo liebendgern aus dem Weg gegangen wäre. Da er aber so viel unterwegs war, war es ihm unmöglich, die Briefe selbst in Empfang zu nehmen. Immerhin war seine Mutter eine Frau von Anstand und öffnete die an ihren Sohn adressierten Schreiben nicht, was sie jedoch nicht daran hinderte, beharrlich und energisch nachzufragen. Zumal Fredos mimische Reaktionen ob der Briefe Agathas und natürlich auch der Stadträtin Morgentau höchstselbst überaus deutlich ausfielen und seinem Gesicht einen deutlich röteren Anstrich verliehen. Fredos abwiegelnden Worte, dass es sich um einen rein-dienstlichen Austausch mit einer Arkanisten vom Turm der Lehren handelte, bedachte seine Mutter - eine Frau von großer Empathie und Menschenkenntnis - nur mit einem langgezogenen "Naaaatürlich", während der persönliche, freundliche Gruß der Stadträtin an die Familie anlässlich des Kerzenfests fast für einen Ohnmachtsanfall bei Mutter Milton sorgte. Selbstverständlich würde sie das mit Diskretion behandeln, denn eine Tratschtante war sie auf keinen Fall. Aber in den eigenen vier Wänden trug sie dieser Tage einen unheimlichen Stolz auf ihren Burschen zur Schau. Was sie nicht davon abhielt, ihn immerfort zu ermahnen, endlich sein Zimmer aufzuräumen.
Fredo war klar: Er musste dringend ausziehen. Und wenngleich bei all den Geschehnissen der letzten Tage kaum Zeit dafür blieb, an sich selbst zu denken, hoffte er doch, dass all das Geschehen seine Grundausbildung nicht verzögerte, denn für die fehlten noch einige Lektionen. Eigentlich sollte die Rekrutenzeit nur noch zwei Zehntage dauern, aber wer wusste schon, wie sehr sie sich ziehen würde, wenn die verschwundenen Burschen nicht bald gefunden wurden. Erst als Gardist würde er sich vielleicht ein eigenes Zimmer irgendwo leisten können. Hoffentlich lag das nicht in zu weiter Ferne.